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Der Bilwarg
von Gazania

"Hee, lass´ das! Gib mir sofort meine Decke wieder!" - "Hol´se dir doch." Das lässt Wulfgar sich nicht zweimal sagen. Er schmeißt sich auf seinen etwas größeren Bruder Hogrol und eine wilde Rangelei entsteht in dem kleinen Zelt. "Auaaa! Passt doch auf!" Trotzig tritt das kleine Mädchen nach den beiden Streithähnen. "Gib mir... meine... Decke!" Plötzlich wird die Abdeckung vor dem Zelteingang zur Seite gerissen und Edward, der große Bruder der drei, lukt hinein. "Schafft ihr´s nichtmal, euch ein paar Minuten zu benehmen?" fragt er genervt. "Hogrol hat angefangen!" - "Garnicht wahr..." - "Ist mir egal, wer angefangen hat," unterbricht Edward die Jungs, "ich beende es. Auf eine Rangelei hab´ ich heut´ wirklich keine Lust mehr." Er krabbelt in das Zelt, gefolgt von seiner amüsiert schmunzelnden Freundin.

"Lass´ meine Decke in Ruhe!" schreit Wulfgar. Hogrol lacht und will gerade etwas erwiedern, als Edward ihm zuvor kommt. "Wenn ihr weiter so laut seid," sagt er, "lockt ihr noch den Bilwarg an!" - "Den Bilwarg?" fragen die drei Kleinen im Chor. "Wer... wer is´n der Bilwarg?" fragt Annegret, die Kleinste im Zelt. "Der Bilwarg frisst Kinder, die Nachts seine Ruhe stören einfach auf!" antwortet Edward. "Er ist ein grausames Ungetier, dessen Maul so groß ist, dass er ein ganzes Kind mit einem Happs verschlucken kann ohne zu kauen. Also seid besser leise, bevor er euch holen kommt!" Einen Moment lang sind die Kleinen muxmäuschenstill, bis Hogrol antwortet "So ein Quatsch, den gibt´s ja garnicht." - "Oh doch, und wie es den gibt." sagt Sabinia, Edwards Freundin, leise. Überrascht schauen alle zu ihr. "Ich habe ihn gesehen..." - "Wirklich?" fragen alle, Edward eingeschlossen. "Oh, ja..." fährt Sabinia fort, "und glaubt mir, es war nicht schön. Aber euer großer Bruder hat keine Ahnung, was der Bilwarg wirklich ist." - "Was ist er denn?" fragt Wulfgar neugierig. "Wenn ich euch das erzähle, dann könnt ihr heute Nacht bestimmt nicht schlafen." - "Doch, bestimmt." - "Och, bitte!" - "Ja, bitte, erzähl´s!" sagen die drei kleinen. Auch Edward sieht sie interessiert an. Sabinia lächelt.

"Nun gut, aber sagt hinterher nicht, dass ich euch nicht gewarnt hätte!" Sie überlegt einen Moment. Dann beginnt sie zu erzählen. "Vor sehr langer Zeit, als nicht einmal eure Eltern auf der Welt waren und vermutlich eure Großeltern auch noch nicht, da gab es einen Bilwissstamm, der sich selbst Die Klauenkrallen nannte. Der Häuptling des Stammes, Krukzuk war befreundet mit Waruff, dem Anführer eines Rudels besonders blutrünstiger Warge, die seinerzeit immer und immer wieder Unheil über die nahe gelegenen Dörfer der Menschen brachten. Oft überfielen die Krukzuk und Waruff gemeinsam mit Stamm und Rudel ein Dorf und fraßen jeden, der dort wohnte, einfach auf. Die Bilwisse nahmen die Waffen und Schätze der Menschen mit und holten das Feuer in ihr Lager, die Warge schlugen sich den Magen voll und nahmen etwas Beute mit sich.

Viele Jahre ging das so, aber die Zeit macht keinen Halt und so wurden Krukzuk und Waruff, die sich schon seit ihren jüngsten Tagen wie Brüder kannten, immer älter und schließlich wurde der Warg sehr krank und starb. Sein Nachfolger wurde Krrr, der kräftigste unter seinen Söhnen, der das Bündnis mit den Bilwissen immer recht skeptisch betrachtet hatte. Er fragte sein Rudel, was für Vorteile sie von der Freundschaft hätten, da sie doch die meiste Arbeit leisteten und die Krallenklauen sich an ihnen bereicherten. Schließlich könnten sie kaum kämpfen, würden aber die meiste Beute machen und sowieso wären das Rudel ohne die Bilwisse viel effektiver. Also beschloss er, dass es an der Zeit sei, sich zurückzuholen, was ihnen zustand." Sabinia legt eine kleine Pause ein. "Erzähl´ weiter!" drängt Hogrol und Wulfgar unterstützt seine Forderung mit einem Nicken. Edward liegt bereits entspannt unter seiner Decke und sieht aus, als würde er jeden Moment einschlafen.

"Als die Dunkelheit der Nacht hereinbrach," fährt Sabinia fort, "machten sich die Warge auf, um das Lager der Krallenklauen zu überfallen. Sie hatten Hunger und die Ansprache ihres Anführers Krrr war sehr überzeugend gewesen. Lautlos überwältigten sie die Wachen des Lagers und verteilten sich, bis sie schließlich mit wildem Getöse über die Bilwisse herfielen. Mit ihren starken Kiefern zerrissen sie ihnen die Kehlen und mit ihren scharfen Klauen schlugen sie die Körper entzwei, bis kaum noch einer der Zweibeiner atmete. Nur Häuptling Krukzuk und seinen noch sehr jungen Sohn Karuk ließen sie am Leben. Und nicht nur das, sie ließen sie dabei zusehen, wie ihre Freunde und Stammesgenossen gefressen wurden, manche davon noch nicht ganz tot und unter lautem Geschrei." Die drei Kinder rühren sich nicht und halten die Luft an. Auch Edward liegt gespannt da, versucht es sich aber nicht anmerken zu lassen. "Dann nahmen sie die beiden als Gefangene und ein paar der Toten zur Verpflegung mit in ihr Lager."

Draußen rauscht sanft der Wind und lässt ein paar Blätter in den Baumkronen rascheln. Im Zelt ist es still geworden, so still, wie es den ganzen Abend noch nicht war. "Krrr war zufrieden. Endlich konnte er tun und lassen, was er wollte, ohne Rücksicht auf diese Bilwisse nehmen zu müssen. Endlich würde er den gesamten Lohn für die Kämpfe bekommen, die gesamte Beute sein Eigen nennen können. Die Bilwisse waren sowieso immer viel zu laut bei den gemeinsamen Angriffen gewesen. Aber mit den beiden Gefangenen hatte er etwas ganz besonderes vor..." Sabinia verstummt. Eine ganze Weile sagt niemand ein Wort, bis Annegret sich endlich traut. "W..was denn?" fragt sie vorsichtig. Sabinia schluckt, zögert noch etwas und erzählt dann leise mit einem bedrohlichen Unterton weiter. "Krukzuk hatte nicht mehr viele Tage zu leben, das sah man ihm an. Die Warge konnten es gar wittern und verweigerten ihm etwas zu Essen, bis er schließlich starb. Sein Sohn hingegen wurde, ohne es zu wissen, mit den Überresten der toten Bilwisse gefüttert und letztendlich mit dem Fleisch seines eigenen Vaters."

Die drei Kinder verzogen das Gesicht, sagten aber keinen Ton. Auch Edward schaute entsetzt aber möglichst unauffällig zu seiner Freundin. "Sie zogen den kleinen Karuk auf wie einen Warg, sie teilten ihr Futter mit ihm, lehrten ihn ihre Kampftechniken und ihre Sprache. Über die Zeit wurde er einer von ihnen, er wandelte sich immer mehr zu einem Warg. Während der Kämpfe vermischte sich sein Blut mit dem ihren und während des Fressens auch sein Speichel. Als er älter wurde, wuchs ihm Fell, zwar nicht so dicht wie das der Warge, aber es reichte aus, um das Tragen von Rüstungen überflüssig zu machen. Er bekam Krallen und brauchte fortan keine Waffen mehr, um zu jagen. Und er wurde größer als all die Warge um ihn herum, denn er war ja immernoch zum Teil ein Bilwiss und konnte auf zwei Beinen laufen. Er wurde schneller, kräftiger und noch skrupelloser als jeder einzelne aus dem Rudel. Doch so sehr er auch einer von ihnen wurde, vergaß er nie, was sie seinem Stamm angetan hatten."

Neben dem Zelt raschelt etwas. Plötzlich sitzt Edward völlig aufrecht und auch die Kinder sehen regungslos zur Zeltwand. Dort... ein Schatten! Etwas bewegt sich unmittelbar zum Zelteingang. Alle halten den Atem an. Unerwartet reißt Sabinia die Zelttür auf, so unerwartet, dass allesamt vor Schreck zusammenzucken. Sie lacht. "Ein Hase." sagt sie. Edward und die drei Kinder atmen erleichtert auf. "Puh!" sagt Annegret. "Blöder Hase!" murrt Wulfgar. "Jedenfalls..." erzählt Sabinia weiter, "bekam Karuk die Bilder von seinen Freunden, die halbtot gefressen wurden, nicht mehr aus dem Kopf. Nacht für Nacht schreckte er schweißgebadet auf und eines Nachts weckte er das gesamte Rudel mit einem lauten Brüllen. Verdutzt standen sie auf und bildeten einen Kreis um ihn, während Krrr ihn fragte, was der Grund für seinen Schrei sei. Karuk antwortete nicht, er fletschte die Zähne, sprang auf Krrr zu und biss ihm die Kehle durch. In der selben Bewegung drehte er sich um und noch ehe die anderen Warge begriffen, was da passierte, hatte er schon zweien von ihnen mit seinen Klauen den Bauch aufgeschlitzt."

Nach schlafen ist keinen von ihnen mehr zumute. Mit weit aufgerissenen Augen klammern sich die Kinder an ihren Decken fest und sind ganz nah zusammengerückt. Auch Edward versteckt seine Spannung nicht länger. "Er tötete das ganze Rudel in wenigen Minuten. Doch antatt dass das Töten seine Wut stillte, wurde er nur noch wütender. Es dürstete ihn mehr denn je nach Blut. Also zog er los in die Dörfer der Menschen. Jede Nacht, wenn der Mond am Himmel stand, machte er sich auf Beutejagd und tut es noch heute. Nicht aus Hunger, sondern aus purer Rachelust, aus Blutdurst. Er tötet nicht um zu fressen, sondern um zu töten.

Natürlich schafften die Menschen es, sich gegen ihn zu wehren. Sie schützten sich in Städten wie Bree, indem sie Wachen postierten und helle Fackeln aufstellten, damit sie ihn schon von weitem sehen können. Und natürlich weiß er das, deswegen hält er sich von den Städten fern. Manchmal kann man seine Schreie hören, die wie das Jaulen eines Wolfes klingen. Und wenn er des Nachts ausserhalb der beschützten Städte ein paar einsame Menschen findet, dann tötet er sie auf bestialische Art und Weise. Kinder fallen ihm besonders oft zum Opfer, ganz besonders dann, wenn sie nachts draußen laut sind..." In einiger Entfernung hört man einen Wolf jaulen. Die drei Kleinen schauen sich panisch um. "War das...?" fragt Hogrol. "Wer weiß." flüstert Sabinia düster. "Ich glaub, ich will doch lieber in meinem Bett schlafen!" sagt Wulfgar und packt hektisch seine Sachen zusammen. "Oh ja, ich auch" schließen sich Hogrol und Annegret gleichzeitig an. Kurz darauf rennen die drei, bepackt mit ein paar Beuteln und Decken den Hügel hinab in Richtung Bree. Sabinia grinst Edward an. "Endlich Ruhe und etwas Zeit für uns..." sagt sie und legt sich vorsichtig neben ihren Freund. "Ruhe?" fragt er entrüstet. "Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich hier draußen schlafe, oder?" - "Aber..." - "Und du auch nicht! Los, komm, das Zelt bauen wir morgen ab." zerrt er sie aus dem Zelt.

Shahn Gomeli T.B. Trennlinie Impressum