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Das Märchen von Bürgermeister Mistos und seinem Bruder Kunibert
von Gazania

In alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hatte, begab es sich in einem kleinen Dörfchen, dass sich ein alter Bauer und sein Weib ein Kind wünschten, einen strammen Burschen, der ihren Hof weiterführen sollte. Ihr Wunsch wurde ihnen erfüllt und die Bäuerin brachte gleich zwei gesunde Jungs zur Welt. Den ersten nannten sie Mistos, er hatte schon bei seiner Geburt feuerrote Haare und schrie, was das Zeug hielt. Seinem Bruder, der zwei Minuten später das Licht der Welt erblickte, gaben sie den Namen Kunibert. Er schrie nur kurz, war dann ganz ruhig und besaß im Gegensatz zu Mistos rehbraune Haare.

Und so wuchsen sie heran, wohlbehütet von ihren Eltern, dem Knecht und der Hofmagd. Sie spielten Tag ein und Tag aus gemeinsam auf dem Hof, erkundeten zusammen die Umgebung, heckten Streiche aus und standen auch immer Seite an Seite dafür gerade. Nichts konnte die beiden auseinanderbringen, selbst die Arbeiten auf dem Hof erledigten sie im zunehmenden Alter zu zweit, sie lernten mit- und voneinander und sogar ihre ersten Freundinnen führten sie stets gemeinsam aus.

Als in einer Gewitternacht der Bauer und die Bäuerin bei einem Brand auf dem Hof ums Leben kamen, lag es an Mistos und Kunibert, den Hof weiterzuführen. Junge Burschen wie sie hatten nicht die Mittel, den Knecht und die Magd weiterhin zu beschäftigen, also blieben die zwei allein auf ihrem Hof zurück und arbeiteten von morgens bis abends. Sie molken die Kühe, fütterten das Vieh, rupften Hühner, pflegten die Felder und ernteten die reifen Früchte. Und all das taten sie stets gemeinsam, sodass keiner von beiden das Gefühl hatte, er hätte mehr gearbeitet als der andere.

Eines Morgens dann fanden sie auf ihrem Hof einen alten Mann. Er war schrecklich zugerichtet, seine Robe an unzähligen Stellen zerrissen und blutgetränkt, seine Haut von Wunden übersäät und um ihn herum lagen Pergamente verstreut. Er war kurz davor, sein Leben auszuhauchen und berichtete den beiden, dass er durch den alten Wald und über die Hügelgräber gekommen und dabei von einem Rudel furchtbarer Warge bis ans Ende getrieben worden sei. Er erzählte, dass sie ihn gebissen und mit ihrer Krenkheit infiziert hatten, bis er auf diesem Feld hier zusammengebrochen sei. Entsetzt hörten die beiden zu und versuchten derweil verzweifelt, seine Wunden zu stillen, doch vergebens. Als er aufhörte zu atmen schlossen sie seine Lider und Kunibert hob ihn über seine Schulter um ihn hinter das Haus zu tragen, wo sie ihn vergraben wollten. Mistos sammelte währenddessen die Pergamente ein, die darauf schließen ließen, dass er ein Zauberer war. Und gerade, als Mistos seinem Bruder folgen wollte, schimmerte ihn von der Stelle, an dem der Alte gelegen hatte, etwas bläulich glänzendes an.

Mistos sah zu seinem Bruder, der gerade hinter ihrem Haus verschwand und hob das glänzende Ding auf. Es war ein wunderschönes Amulett aus blauem Kristall, das beinahe hypnotisch leuchtete und flimmerte. Einige Zeit stand Mistos da und starrte das sonderbare Amulett an, als sein Bruder nach ihm rief. Schnell steckte er es in die Tasche und lief hinter das Haus, wo sie den Alten gemeinsam vergruben. Am Abend studierten sie die Pergamente, die sie auf dem Feld eingesammelt hatten.

Auf vielen der Pergamente waren Zeichnungen zu sehen, Zeichnungen vom Auenland mit Wegbeschreibungen, Ortsnamen und Hinweisen. Einige zeigten auch einen Teil des Breelands, Bockland fanden sie und ein paar waren unvollständig. Auf anderen Pergamenten standen Rezepte für seltsame Tränke mit Krötenschleim, Schneckensekret oder Eichhornspeichel als Zutaten. Und auf wieder anderen standen die Beschreibungen von Zaubersprüchen und deren Wirkungen beschrieben, magische Artefakte waren aufgezeichnet und Versuche, sie zu verwenden, dargelegt. Einige waren wirkungslos, andere hatten gar Brände verursacht oder Tiere in Pilze verwandelt. Alles in allem sehr verwirrendes Zeugs, was sie da lasen. Der Alte musste nicht nur ein Zauberer sondern auch Kartograph und Elixiermischer gewesen sein. Ein Pergament jedoch betrachtete Mistos sehr interessiert. Darauf war ein Amulett zu sehen, eben solch eines, wie Mistos in seiner Hosentasche wusste. Es nannte sich "Amulett des guten Redens" und verlieh seinem Träger die Macht, andere von ihren Ideen zu überzeugen. Weiter unten auf dem Pergament hatte der Zauberer verzeichnet, dass es auch Gefahren birgt, doch fehlte dort eine genauere Ausführung. Mistos dachte sich nichts dabei. Was für Gefahren soll es schon bergen, andere überzeugen zu können?

Es wurde das erste Geheimnis, das er seinem Bruder gegenüber hegte. Das Pergament ließ er des Nachts verschwinden und das Amulett trug er immer bei sich, zeigte es jedoch niemandem. Und trotzdem merkte er, wie sich sein Leben wandelte. Plötzlich wurden sie auf dem Markt verdorbene Ware los, bekamen unverschämte Preise für ihre Früchte und dazu den Dank der Käufer für das gute Geschäft. Nach kurzer Zeit verstand Mistos, mit dieser Macht umzugehen und bekam des öfteren etwas geschenkt oder handelte Preise heraus, die sie sich nie hätten träumen lassen. Kunibert bewunderte ihn für sein Verhandlungsgeschick und bald lebten sie besser als sie je zuvor vermochten. Sie bekamen oft Frauenbesuch und immer wieder halfen die Kinder aus der Nachbarschaft freiwillig bei der Bewirtung der Felder und der Ernte und bekamen dafür einen kleinen Teil der Früchte als Lohn.

Bald darauf starb der Bürgermeister des Dorfes und ein Nachfolger wurde gesucht. Kunibert ermutigte seinen Bruder, sich der Wahl zu stellen, wo er doch so gut verhandeln könne. Also meldete er sich und hielt am Wahltage eine Rede, wie er noch nie eine gehalten hatte. Die Dorfbewohner hangen ihm förmlich an den Lippen und applaudierten ihm mit Jubelrufen und wohlgemeinten Pfiffen, als er sie beendet hatte. So wurde Mistos Bürgermeister und trat das Amt gemeinsam mit seinem Bruder an. Sie pflegten weiterhin ihren Hof und erledigten auch die Amtsaufgaben gemeinsam.

Eines Nachts begab es sich, dass Mistos kaum ein Auge zutun konnte. Es gewitterte und stürmte, das Vieh blökte unruhig umher und am nächsten Morgen dann, als Kunibert ihn wecken wollte, war er so müde, dass er noch ein paar Stunden liegen bleiben wollte. Er besann sich auf das Amulett in seiner Tasche und bat seinen Bruder, schon einmal ohne ihn mit der Arbeit zu beginnen. Es war noch nie vorgekommen, dass sie nicht gemeinsam aufgestanden waren, doch zögerte Kunibert keinen Augenblick sondern begann mit der Arbeit, molk die Kühe, fütterte das Vieh und pflügte den Acker, bis es spät Nachmittag wurde. Mistos genoss diesen Tag, sein Bruder arbeitete für ihn und er brauchte nichts weiter zu tun als ihn darum zu bitten.

Ein paar Tage später versuchte er nochmal, seinen Bruder die Arbeit allein tun zu lassen, und es funktionierte. Wenige Monate dauerte es, bis Mistos jeden Tag bis zur Mittagszeit schlief und dann den Nachmittag in der Sonne genoss. Er arbeitete kaum mehr. Wenn sein Bruder ihn darauf ansprach, genügten ein paar Worte, um Kunibert zu beschwichtigen und von der Richtigkeit seines Tuns zu überzeugen. Mistos gefiel das. Er hatte ständig mindestens eine Frau an seiner Seite, die ihn bediente und sein Bruder erledigte die Arbeit. Auch die Dorfbewohner waren leicht wieder zu beruhigen, wenn Stimmen über ihren faulen Bürgermeister aufkamen, reichte eine kurze Rede und sie feierten ihn erneut. Die Handelsbeziehungen zu anderen Dörfern könnten kaum besser sein und auch sonst war Mistos Leben wunderbar. Und ohne dass er es bemerkte, wurde er immer dicker.

An einem Samstag im Hochsommer war wiedereinmal Waschtag. Mistos lag gegen Mittag noch schnarchend in seinem Bett, also nahm sein Bruder die Kleidung mit zum Bach und begann zu waschen. Als er Mistos´ Hose wusch, stieß er auf das Amulett in seiner Tasche und betrachtete es neugierig. Er fragte sich, woher sein Bruder es wohl haben möge und warum er ihm nichts davon erzählt hatte. Er behielt es bei sich und sprach Mistos darauf an, als er wieder auf dem Hof war.

Ohne es zu wissen nutzte er die Macht des Amuletts und Mistos erzählte ihm bereitwillig, was es damit auf sich hatte. Er erzählte von der Macht, von dem Pergament und den Auswirkungen auf dem Markt, ja sogar, dass er durch das Amulett Bürgermeister geworden war. Und nachdem Kunibert nachfragte, beichtete Mistos auch, dass er mithilfe des Amuletts die Frauen zum Hof brachte und seinen Bruder arbeiten lassen konnte. Natürlich wurde Kunibert stinksauer, wollte den Hof verlassen und geriet so in eine lange Balgerei mit seinem Bruder, der ihm das Amulett wieder entreißen wollte und es schließlich auch vermochte. Wutentbrannt ging Kunibert ins Dorf und berichtete seinen Freunden von den neuen Erkenntnissen über die Machenschaften seines Bruders. Er riet ihnen, Mistos nicht mehr zuzuhören und selbst zu sehen, was er Tagein tagaus so tat.

Wenige Tage später wurden die Proteste in dem kleinen Dorf laut. Der Bürgermeister sei ein Schmarotzer, ein Lügner, ein Schwindler, hieß es. Mistos, der mittlerweile ohne seinen Bruder auf dem Hof lebte und diesen fast ausschließlich von Nachbarskindern bewirten ließ, griff zu altbewährten Mitteln und hielt eine Rede auf dem Marktplatz. Doch merkte er schnell, dass etwa die Hälfte der Dorfbewohner bei ihrer Meinung und ihrem Protest blieben, allen voran sein Bruder. Sie unterbrachen seine Rede mit lauten Rufen und diskutierten mit denen, die ihm zuhörten. Ein großer Streit entbrannte zwischen den Bewohnern. Die einen glaubten an Mistos, der ihnen Wohlstand durch geschickte Handelsbeziehungen brachte, die anderen wollten ihn stürzen und sahen seine Bürgermeisterschaft als Scharlatanerie und Betrug an. So kam es, dass ein Teil der Dorfbewohner, angeführt von Kunibert, beschloss, Mistos das Amulett abzunehmen.

Selbstredend versuchten sie, möglichst viele Mitstreiter zu finden und erzählten allen von ihrem Plan, sodass auch Mistos nicht im Unwissen blieb. Da er selbst mit seiner Körperfülle nicht mehr der Fitteste war und seine Ausdauer stetig nachließ, er tat ja kaum noch etwas ausser zu reden, überzeugte er seine Freunde davon, ihn im Fall der Fälle zu beschützen. Und nur wenige Tage später brach der dunkelste Tag über das kleine Dorf herein.

Auf dem Hof hatten sich die Anhänger Mistos´ eingerichtet und gaben gut auf ihren verehrten Bürgermeister Acht. Sie arbeiteten auf den Feldern und dem Hof, um sich selbst zu versorgen, während ihre eigenen Hütten und Höfe leerstanden. Ein jeder hatte seinen wichtigsten Besitz mitgebracht, sein Vieh und sein Werkzeug sowie Kleidung und allerlei Gerätschaften. Im Dorf selbst wurden Pläne geschmiedet. Kunibert erwartete nicht, widerstandslos bis zu seinem Bruder zu gelangen, also bewaffneten er und seine Mitstreiter sich mit Heugabeln, Beilen und Holzkeulen, einer trug gar das rostige Schwert seinen Großvaters bei sich. Mit Fackeln und den stabilsten Rüstungen, die sie hatten, was bei den meisten unter ihnen drei Leinenroben entsprach, machten sie sich auf den Weg und hofften, die Beschützer von Mistos durch ihr Auftreten überzeugen zu können.

Man sah sie von weitem kommen. Mistos saß auf einem kleinen Hochsitz und unterrichtete seine Anhänger darüber, dass die anderen mit Heugabeln und Äxten unterwegs seien und nicht gerade friedlich aussähen. Um sich zu verteidigen, bewaffneten sich daraufhin auch alle, die auf dem Hof waren mit Heugabeln, Schaufeln und allerlei Werkzeugen, Äxten und sogar Sägen. Als der Mob aus dem Dorf eintraf, schrie Kunibert Mistos zu, er solle sein Amulett aushändigen, was mit Jubelrufen seiner Begleiter unterstützt wurde. Mistos hingegen stempelte Kuniberts Gerede als Unfug ab und beklagte, dass er beraubt werden solle, unter großer Zustimmung seiner Unterstützer. Es ging nur eine kurze Weile so weiter, bis der erste meinte, Kunibert und seine Truppe sollten einfach verschwinden und eine Heugabel in seine Richtung warf. Die Gabel traf einen Dorfbewohner in die Magengegend und durchbohrte ihn, der daraufhin unter Schmerzen ächzend zusammenbrach. Einen Moment lang regte sich niemand, es war totenstill. Dann ging das Geschrei los.

Ein wilder Kampf entbrannte. Die Dorfbewohner stachen sich gegenseitig die Augen aus und schlugen sich Köpfe und Gliedmaßen ab, steckten alles um sich herum in Brand und erschlugen ihre Nachbarn. Kunibert und Mistos sahen schnell, was sie angerichtet hatten und versuchten, die Menschen zu beruhigen, sie aufzuhalten, doch es war bereits viel zu spät. Sie wurden unter den lauten Schreien nicht mehr gehört und als Mistos sah, wie Kunibert von einem Holzknüppel ins Gesicht getroffen wurde und qualvoll am Boden verblutete, begann er fürchterlich zu weinen. Er verfluchte das Amulett, schleuderte es von seinem Hochsitz aus so weit fort, wie es nur ging und wünschte sich den baldigen Tod. Als schließlich sein Hochsitz in Flammen aufging, wurde ihm dieser Wunsch erfüllt.

Der Hof brannte vollständig ab, die Häuser des Dorfs wurden verlassen und verfielen im Laufe der Zeit und die Frauen und Kinder, die sich dieser Tragödie furchtbar schämten, verteilten sich in die umligenden Dörfer und Städte oder zogen noch weiter fort. Seit jenem Tag schwieg man über die Vorfälle und viele wünschten sich, das alles sei nie geschehen. Über die Jahre geriet das Dorf und seine Geschichte letztendlich in Vergessenheit. Es waren eben Zeiten, in denen das Wünschen noch half.

Shahn Gomeli T.B. Trennlinie Impressum