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Der Puppenspieler
von Gazania

"Heee.. Heel.. f... er... Helfer!" Der Junge mit den roten Haaren nickt, lächelt leicht und versucht sich an dem zweiten Wort. "geee... gesuu... gesucht! Helfer gesucht!" - "Helfer? Klasse, wo? Vielleicht können wir ja helfen." - "Klar, als würden die zwei Jungs wie uns da brauchen können. Das ist sicher wieder nur was für die Großen." - "Meinste? Worum geht´s denn dabei überhaupt? Lies mal weiter." - "Nee. Lies doch selbst." Er gibt seinem etwas größeren Kumpel einen leichten Schlag auf die Schulter, den dieser prompt erwidert. Eine kleine Kebbelei entsteht. "Du weißt genau," keucht er, "dass ich nicht lesen kann!" - "Dann..." will er gerade antworten, als eine Stimme dazwischenkommt, die klingt, als hätte der Sprecher eine verstopfte Nase. "Ist es mir erlaubt, die beiden Herren zu unterbrechen?" Ein alter, klappriger und ziemlich kleiner Mann steht vor ihnen und scheint aus seinen glasigen Augen an ihnen vorbeizusehen. Er stützt sich auf einen Krückstock aus dunklem Holz und trägt ein etwas abgetragenes schwarzes Regencape und einen alten Zylinder. Die beiden starren ihn gebannt an - so einen skurrilen Mann haben sie hier in Bree noch nie zu Gesicht bekommen; und hier laufen allerlei skurrile Gestalten umher. "Ähm... natürlich" kommt zuerst der Rotschopf zu sich, "Wie können wir Euch helfen?"

Es stellte sich schnell heraus, dass der alte, klapprige Mann die "Helfer gesucht"-Plakate aufgehängt hatte um kräftige Burschen anzuheuern, die beim Aufbau einer Holzkonstruktion helfen sollten. Einen Silberling versprach er jedem Helfer für einen halben Tag Arbeit. Gegen Mittag sollte es losgehen, damit "bei Sonnenuntergang alles perfekt vorbereitet ist", wie er sagte. Worum es ging, wusste niemand so recht, dennoch traf sich ein Großteil der Breer Jugend am nächsten Tag um die Mittagszeit auf dem Marktplatz.

"Looos, macht schon Platz da!" - "Sehta nich, dett wa hiea dusch müsse? Na los, uss´m Weech!" - "Zur Seite! Zur Seite, verdammt!" Mit lautem Gerumpel zwängen die Männer den viel zu breiten Planwagen zwischen den Marktständen her, nicht ohne dabei die eine oder andere Kiste umzuwerfen. Große Holzbalken und lange Bretter ragen zu allen Seiten heraus. "Was bringen die da?" - "Woher soll ich´n das wissen?" Langsam kommt der Wagen näher. Als er schließlich direkt vor den Jungs angehalten wird, beginnen die Männer ihn zu entladen. Unter der Plane kommen Unmengen von Holzbrettern, -balken und -klötzen zum Vorschein, auch zwei Kisten voller Nägel und Metallteile und ein paar Hammer werden bereitgestellt. "Meine Herren," sagt der alte Mann mit dem Zylinder, der plötzlich hinter ihnen steht, "ich bin hocherfreut dass so viele sich gefunden haben, uns bei der Vorbereitung dieses einzigartigen Ereignisses zu unterstützen. Zunächst wird Baruk, der freundliche Herr zu meiner Rechten," Er hebt den rechten Arm und deutet damit auf einen sehr kräftigen Zwerg, der sich aus vier Kisten einen Tisch und einen Stuhl gestellt hat und nicht besonders freundlich aussieht, "Eure Namen aufnehmen und Herr Blattwender zu meiner Linken", deutet er auf einen Hobbit, der sogar für Hobbitverhältnisse ziemlich stämmig ist und beinahe seine Handwerkerrobe zum platzen bringt - zumindest macht es diesen Eindruck, "wird Euch sagen, was zu tun ist. Wohl denn, meine Herren."

"Nam?" Genervt schaut Baruk den Jungen auf der anderen Seite seines Kistentisches an. "Samson Disteldorn." Er notiert den Namen auf der Liste. "Nächster!" Der Junge bekommt einen Stempel und geht weiter. "Nam?" - "Bilward Hol..." - "Hee, was glaubst du, was das wird?" - "Weiß nicht, vielleicht irgendwas für ´nen Zirkus?" - "Zirkus? Meinst du? Ich dachte eher..." - "Nam?" unterbricht der Zwerg das Gespräch. Es klingt als würde er das "e" weglassen um den Mund nicht nochmal öffnen zu müssen. "Äh... was wird hier eigentlich aufgebaut?" fragt der Rothaarige ein wenig irritiert von der Unterbrechung. "Det sacht di d´ Hobbit do drüm´." antwortet Baruk mechanisch und macht eine sehr knappe Kopfbewegung in Richtung Herrn Blattwender. "Nam?" - "Peter Silbertann" Er stellt sich immer nur als "Peter" vor, obwohl er eigentlich "Petronius" heißt. Der Zwerg notiert und drückt ihm einen Stempel auf die Hand. "Nächster! ... Nam?" Sein Freund Thinemir hat keine Kurzfassung für seinen Namen und stellt sich als "Thinemir Buchenblatt" vor.

"Verzeihung?" Der Hobbit reagiert nicht. "Herr Blattwender?" Nichts. "Äh... entschuldigt? Herr Blattwender?" - "Wasss ist so wichtig, dass ihr mich stören müsst?" keift der Hobbit zurück und kontrolliert dabei unablässig das abgeladene Material. "Was... was wird hier eigentlich gebaut?" fragt Thinemir vorsichtig. Herr Blattwender antwortet nicht, sondern streckt ihm einen Plan entgegen. Es ist der erste Architektenplan, den Thinemir zu Gesicht bekommt. Es könnte ein Turm sein... oder eine Plattform? Bevor er weiter darüber nachdenken kann, steckt der Hobbit den Plan wieder ein und ruft "Es ist alles da! Wir können beginnen." Er wendet sich Peter, Tinemir und zwei anderen Jungs zu, die in ihrer Nähe stehen. "Ihr vier, ihr hämmert hier, zack zack, die Bretter sooo auf die Balken" sagt er in unwahrscheinlich hohem Tempo und legt mit Peters Hilfe eines der Bretter auf zwei Balken, "dass wa hier ´ne schöne Fläche kriegen, klar? Das nächste kommt daneben und so weiter. Klar?" Die Jungs nicken und schon ist Herr Blattwender bei den nächsten Helfern um ihnen Anweisungen zu geben.

Als die Sonne sich langsam hinterm Horizont versteckte, war die Arbeit getan. Eine Bühne hatten sie aufgebaut. Groß war sie und hoch, mit einer hölzernen Rückwand. Zeit für die Jungs, sich zum Abendessen zu begeben und natürlich ihren Lohn bei Baruk abzuholen. Zusätzlich zu dem Silberstück bekam jeder von ihnen eine kleine Eintrittskarte. Sie war gelb eingefärbt und "Edgârd der Unglaubliche" stand in großen Buchstaben darauf. Zwei Stunden später sollte die Vorstellung beginnen. Auf dem Weg nach Hause entdeckten die Jungs auch die gelben Plakate, die nun statt den "Helfer gesucht"-Aushängen an den Ecken prangten. Und obwohl es nach Sonnenuntergang schon recht schnell kühl wurde, versammelte sich beinahe die gesamte Breer Einwohnerschaft zwei Stunden später neugierig auf dem Marktplatz...

Die Bühne sieht aus wie ein riesiger Holzkasten, von dem nurnoch Rückwand, Boden und die Balken an den Kanten übrig geblieben sind. Als Dach hat jemand ein Tuch darüber gespannt, von dem hunderte wenn nicht gar tausende kurze, silbern schimmernde Fäden herabhängen. Auch über die Rückwand ist ein dunkles Tuch gespannt, in das ein dreieckiges Symbol eingearbeitet ist, das ebenfalls silbern schimmert. Das selbe Symbol hatten die Jungs auch auf die Hand gestempelt bekommen. Reges Murmeln durchzieht die Menge, Vermutungen, was denn gleich geschehen würde. "Bestimmt ein Marionettenspieler." mutmaßt jemand. "Quatsch, so eine große Bühne für Marionetten? Vielleicht eher eine Zaubervorführung." - "Oder ein Zirkus. Das könnte doch sein, oder?" Auch Peter und Thinemir, die sich zusammen mit den anderen Jungs, die geholfen hatten, einen Platz ganz vorne ergatterten, rätseln.

"Mein Beutel! Er hat meinen Geldbeutel! Haltet ihn!" schreit jemand inmitten der Leute. Ein paar Wachen bahnen sich ihren Weg, vorbei an Peter und Thinemir in Richtung der Schreie. Die Aufregung legt sich schnell wieder und der Herr mit dem Zylinder sthet auf der Bühne. Wie er wohl dahingekommen ist... vielleicht ist er einfach während der allgemeinen Ablenkung hinaufgegangen, aber so sicher sind sich die zwei Jungs da nicht. "Verehrte Damen, geehrte Herren!" beginnt er in seinem gewohnt näselnden Ton, "Ich darf Euch willkommen heißen zu einem Ereignis, das Ihr so noch nie erlebt habt und nie wieder erleben werdet." Er leiert seine Ansage runter, als hätte er sie schon hunderte Male genau so gehalten. "Aber genug der Worte, die ohnehin nicht die Kraft haben, die Fähigkeiten des unglaublichen Edgârd zu beschreiben. Genießt nun eine Vorstellung, von denen Ihr noch Euren Enkelkindern erzählen werdet." Er dreht sich auf dem Absatz zur Seite und verlässt die Bühne. Stille.

Ein paar Minuten lang tut sich nichts, bis endlich eine Gruppe Leute die Bühne betreten. Sie stellen sich in einem Viertelkreis auf und holen ein paar Instrumente unter ihren Umhängen hervor. Dann knien sie sich hin und verharren regungslos. Die Flötistin setzt ihre Querflöte an den Mund und beginnt, eine leise, langsame und wunderschöne Melodie zu spielen. Kaum merklich erhöht sie das Tempo bis der Trommler mit einem dumpfen Rhytmus einsteigt und eine zweite Flötistin die selbe Melodie wie ein leises Echo spielt. Kurz danach ist auch eine Theorbe mit von der Partie und die Musik erreicht einen Höhepunkt, als ein sehr alter Mann hinter den Musikanten hervorkommt. Mitten auf der Bühne bleibt er stehen, das Gesicht von einem langkrempigen, tiefblauen Hut verdeckt und mit einem ebenso blauen, schlichten Gewand bekleidet, das ganz leicht im Wind zittert. "Das muss Edgârd sein!" flüstert Peter. Thinemir nickt nur.

Die Musik hat ziemlich unerwartet aufgehört. Die Musikanten knien regungslos auf der Bühne, vor ihnen der alte Mann, der sich nicht viel mehr bewegt. Unglaublich langsam hebt er seine Arme zu den Seiten. Peter bemerkt ein seltsames Funkeln an den Fingerspitzen, das immer heller und größer wird. Thinemir erkennt als Erster, dass es kleine Blitze sind, die zwischen den Fingern des Alten hin und her springen. Je höher er die Arme hebt, desto größer werden die Blitze, bis sie sich schließlich, begleitet von einem leisen Surren und zischen, mit dem Holz verbinden. Und just in diesem Augenblick erlöschen die Blitze.

"Die Dunkelheit wirkt noch dunkler, wenn man vorher in etwas helles geschaut hat!" sagt Thinemir in einem gespielt-besserwisserischem Tonfall. Peter reibt sich die Augen. "Wem sagste das?" Der Mann auf der Bühne steht noch immer mit halb ausgestreckten Armen da und rührt sich nicht. Zumindest scheint es auf den ersten Blick so, denn beinahe unmerklich bewegt er seine Finger. Eine Flöte spielt wieder, so leise, dass sie droht, im Rauschen des schwachen Windes unterzugehen. Langsam wird sie lauter und die Fingerbewegungen offensichtlicher. Ein Knacksen dringt aus dem Boden der Bühne, dann noch eins und noch eins, als würden dort Äste zerbrochen. Die Musik wird spannender und lauter. Dann stehen sie auf. Das Publikum staunt und hält den Atem an. Aus den Brettern des Bodens, die Peter und Thinemir noch vor ein paar Stunden festgenagelt hatten, schälen sich ein paar flache Holzfiguren heraus. Sie stehen einfach aus den Brettern auf als würden sie aus einem Bad steigen und hinterlassen dabei Mulden im Boden. Drei, nein, vier Holzmännchen stehen nun regungslos vor Edgârd. Die Flötistin beendet abrupt ihr Spiel.

Einen Augenblick später spielt die gesamte Kapelle das Lied weiter. Gleichzeitig tanzen die Holzmännchen zur Musik. Sie drehen sich, machen Saltos und tanzen zu zweit, zu viert oder zu sechst. Zwei sind völlig unbemerkt hinzugekommen... und da sind schon wieder welche... und noch welche! Schließlich hat sich um den alten Mann ein ganzer Tanzsaal von Holzmännchen aus den Brettern geschält. Die Zuschauer staunen und lachen und gelegentlich klatscht irgendwo jemand.

Nach ein paar Minuten unterhaltsamen Tanzes bekommt die Musik unerwartet einen düsteren, drohenden Unterton. Genau in der Mitte der Bühne, vor dem alten Mann, beginnen sich zwei der Männchen zu streiten. Sie schwingen die Holzarme, schubsen sich und bilden schnell eine kleine Gruppe um sich herum. Dramatische Musik. Die beiden Grüppchen, die sich nun gegenseitig schubsen und drohen, ziehen sich auf drängen der tanzenden Männchen schnell zum Rand der Bühne zurück; das eine Grüppchen nach links, das andere nach rechts. Die Musikanten wechseln wieder zu heiterer Tanzmusik. "Schau mal, Peter..." sagt Thinemir und deutet auf das Grüppchen auf der rechten Seite, das einen Tanzenden nach dem Anderen zu sich holt. "Da auch!" sagt Peter, als er zur linken Gruppe schaut. Auch die Musik wird langsam wieder bedrohlicher.

Es dauert nicht lang und die drei Gruppen sind etwa gleichgroß. Die Tanzenden sehen sich etwas irritiert um, die Tanzmusik ist verklungen. Die beiden anderen Gruppen stacheln sich gegenseitig an und rennen fast gleichzeitig aufeinander zu. Laute, dramatische und schnelle Musik von Zupfinstrumenten und Trommeln. Die Zuschauer starren wie versteinert auf die Holzmännchen, einige haben dabei den Mund offen. Auch die beiden Jungs sind zu gefesselt, um ihre Münder zu schließen. Wer hatte sowas schon erwartet? Eine wilde Holzmännchen- Prügelei entbrennt. Die Holzmännchen schlagen wild aufeinander ein, hier und da reißt einer dem anderen den Arm oder den Kopf mit einem "Krrracks!" ab oder tritt einem ein Loch in den Körper. Nach und nach wird die Musik leiser und trauriger, das dramatische bleibt und die Holzmännchen werden weniger. Diejenigen von ihnen, die es besonders schwer erwischt hat, fallen einfach um, bis nurnoch vier übrig sind. Sie stellen sich in einer Reihe auf, die Musik verstummt und es wird dunkel.

Wie auch immer der alte Mann es geschafft hat, die Bühne zu beleuchten, erst jetzt, wo es urplötzlich stockduster ist, fällt es ihnen auf. Niemand sagt etwas, niemand regt sich, kaum jemand wagt es, zu atmen. Wieder hört man Musik, die langsam lauter wird, nur diesmal ist es eine Stimme. Eine sehr hohe Frauenstimme. Dann setzt der Trommler mit einem tiefen, grollenden Ton ein, begleitet von einer leisen Harfenmelodie. Man hört dumpf, wie ein großes Tuch in sich zusammenfällt und die Bühne füllt sich mit Licht. In diesem Moment setzen auch zwei Männerstimmen ein und unterstützen die Hobbitdame mit ihrem Gesang.
Die Rückwand wurde schwarz angemalt und ist kaum zu sehen. Fächer sind darin, deren Anordnung das Symbol ergeben, das vorher noch auf dem Tuch zu sehen war. Darin stehen große Gläser, befüllt mit unzähligen Glühwürmchen, die glühen, was das Zeug hält. Die Atmosphäre ist wunderschön, ruhig und spannend zugleich, das Publikum gefesselt, alle Aufmerksamkeit gehört dem Geschehen auf der Bühne. Aus dem oberen Balken lösen sich drei... Vögel? "Vögel!" murmelt Peter. Langsam gleiten sie zu den vier Holzfiguren. Die Musik ist spannend und dramatisch und steigert sich, je näher die Vögel den Männchen kommen. Als sie auf den Schultern landen, verstummt die Musik für einen Augenblick und die Bühne wirkt wie eingefroren. Die Zuschauer ebenso.

Die Musiker machen mit ruhiger Musik weiter und die Männchen wirken erfreut, bis auf das eine, das keinen Vogel bekommen hat. Die drei lassen ihre Vögel miteinander spielen und springen dabei selbst gelegentlich auf und ab. Sie haben sichtlich Spaß dabei. Der vierte schaut erst zu und setzt sich kurz darauf an den linken Bühnenrand. Die drei werfen ihm einen kurzen Blick zu und spielen dann weiter mit ihren Vögeln. Die Musik klingt heiter. Irgendwann steht das Männchen wieder auf und geht zu dem alten Mann, der noch immer mit angehobenen Armen und zuckenden Fingern in der Bühnenmitte steht und es sieht aus, als würden sie miteinander sprechen. Der Alte nickt ganz leicht, das Männchen stellt sich mit Abstand zu den anderen hin und beginnt, energisch mit den Armen zu wedeln. Der schnelle Klang der Laute und die hellen Töne der Flöte lassen die Musik ins Bedrohliche wechseln, als ein paar kleine, blaue Blitze aus den Händen des Männchens schießen und einen Moment später die drei Männchen mitsamt der Vögel in lodernden Flammen aufgehen. Zwei der Vögel fliegen aufeinander zu und zerplatzen zu hunderten verglühender Splitter, das dritte stürzt dramatisch in die brennenden Männchen, was eine kleine Funkenfontäne zur Folge hat. Die Musik spielt langsam aus und ein tosender Applaus ertönt. Die Leute pfeifen, manche jubeln; sie sind begeistert.

Die Männchen brannten langsam aus, das zaubernde stand weiterhin mit ausgestreckten Armen da, aus denen jedoch keine Blitze mehr kamen. Nichts rührte sich mehr auf der Bühne. Der Applaus wurde nach einiger Zeit leiser, bis man den leisen, dumpfen Trommelschlag hören konnte. Die Leute hörten auf zu klatschen und sahen gespannt und ein wenig irritiert zur Bühne. Sollte es das doch noch nicht gewesen sein?

Dem Trommelschlag gesellen sich Flöte und Horn hinzu, die eine stolze Melodie spielen, etwas, das wie eine Siegeshymne klingt. Das übriggebliebene Holzmännchen geht zur Mitte der Bühne und stellt sich mit ausgestreckten Armen vor das Publikum. Applaus bricht aus, der aber schnell wieder verstummt. "Warum verbeugt das Männchen sich nicht?" - "Weiß nicht, vielleicht kommt ja noch was?" Der alte Mann hebt seinen Kopf und man kann seine Augen sehen. Er starrt nach vorn, über die Zuschauer hinweg und streckt die Arme langsam ganz zur Seite aus. Sein Gewand weht im Wind, seine Haare lodern wie Feuer und doch strahlt sein Gesicht eine Eiseskälte aus.

"Rrromms!" Ein Vogel löst sich aus dem Balken. Und noch einer. Nach und nach fliegen dutzende von Vöglen über die Bühne. "Rrromms!" Aus den Brettern des Bodens lösen sich Blumen und Gräser aus Holz, die sich knarcksend aufbäumen. "Rrromms!" Einige Vögel fliegen von der Bühne und ziehen wunderschöne Schleifen über dem Publikum. "Rrromms!" - "Was ist das eigentlich die ganze Zeit für ein Rummsen?" fragt Peter und schaut den Vögeln hinterher. "Weiß...." Thinemir verstummt während seiner Antwort. Jetzt sieht auch Peter, woher das "Rrromms!" kommt: das gesamte Publikum springt genau gleichzeitig und führt zwischendurch Tanzschritte aus. Sie bewegen sich wie Marionetten, passend zur fröhlich-dominanten Musik. Alle, bis auf die Jungs, die beim Aufbau der Bühne geholfen hatten. "Das hier ist extra für uns!" sagt einer mehr zu sich selbst.

Die lebenden Marionetten tanzen, es ist bezaubernd, witzig und beeindruckend zugleich. Sie springen übereinander, drehen sich wild im Kreis und gleiten dann wieder sanft über den Boden, immer begleitet von der passenden Musik. Die Jungs lachen, klatschen und staunen, das gefällt! Über der tanzenden Menge fliegen die Vögel großartige Figuren und beginnen, von der Schnabelspitze an zu verglühen, wobei sie einen Funkenschweif hinter sich herziehen. Über den Jungs und auf der Bühne geschah dasselbe, überall glühte es, überall flogen Funken.

Als endlich alle Vögel und Holzpflanzen verglüht sind, spielt die Flötistin eine ruhige, verträumte Melodie. Die Sängerin bringt traurigen Gesang mit ein und die anderen Musiker gehen von der Bühne. Das letzte Holzmännchen beginnt vollständig zu glühen. Immernoch ist das Publikum wie verzaubert und schwa.nkt mit der Melodie, die leiser und leiser wird, bis sie verstummt. "Kawumm!" Ein lauter Knall hallt durch die Stadt. In einer riesigen, blendend hellen Funkenexplosion ist das Männchen geplatzt. Überall glühen kleine Stellen an der Holskonstruktion, man hört ein Horn spielen und der alte Mann, der als letzter noch auf der Bühne steht, lässt die Arme und den Kopf sinken. Die Jungs sind aus dem Häuschen. "Grandios!" - "Suuuper!" - Wahnsinn!" Langsam kommt auch der Rest des Pulikums wieder zu sich und steigt in den Applaus ein.

Es war sehr spät und sehr dunkel geworden. Die schmale Mondsichel beleuchtete kaum die Gassen, als Peter und Thinemir sich auf den Heimweg machten. Peter wollte sich noch ein Plakat stibitzen, aber es hang kein einziges mehr. Am nächsten Morgen dann war alles wie vorher. Die Bühne war verschwunden, keiner der Schausteller oder Musikanten hatte sich irgendwo ein Zimmer genommen, es war, als wäre hier nie etwas gewesen. Natürlich redeten die Leute noch und stellten Mutmaßungen an, aber nach einer Weile hörte auch das auf.

Ein paar Jahre später...

"Du, wer ist Edgurd der Unglaub?" - "Wer?" Der alte Mann mit den weißen Haaren beugt sich vor, was der Holzstuhl mit einem langgezogenen Knartschen unterstützt. "Edgurd der Unglaub. Steht hier drauf." sagt der kleine Junge mit den roten Haaren und dem Pottschnitt, der in einer Briefzustellerkluft vor ihm steht. Er hält einen kleinen, gelben Zettel in der Hand. Der alte Mann nimmt den Zettel entgegen, schaut ihn an und beginnt zu lächeln. Ein wenig verblasst und abgenutzt ist er und ein Stückchen ist abgerissen. "Das heißt eigentlich Edgârd der Unglaubliche." - "Aha. Und wer ist das nun?" fragt der Kleine neugierig. "Edgârd war ein Puppenspieler. Er war damals in Bree, als deine Oma noch nichtmal hier gewohnt hat." - "Puppenspieler gibt´s doch überall, Opa!" entbrüstet sich der Junge. "Aber keinen wie ihn. Weißt du, der Onkel Thinemir und ich, wir waren damals noch Jungs, so wie du, und..." beginnt er zu erzählen.

Shahn Gomeli T.B. Trennlinie Impressum